Was ist Bindung?
Nach dem Begründer der Bindungstheorie John Bowlby, sind emotionale Bindungen an andere Menschen der Angelpunkt, um den sich das Leben eines Menschen dreht. Dies betrifft nicht nur die Säuglingszeit, das Kindergartenalter, sondern auch die Schulzeit, Jugend sowie das Erwachsenleben bis hin ins hohe Alter.
Aus diesen emotionalen Bindungen schöpft ein Mensch Kraft und Lebenszufriedenheit. Er selbst kann hieraus seinerseits anderen Menschen Kraft und Lebensfreude schenken.
„Bindung ist das gefühlsgetragene Band, das eine Person zu einer anderen spezifischen Person anknüpft und das sie über Raum und Zeit miteinander verbindet.“ – John Bowlby
Was besagt die Bindungstheorie?
Eine zentrale Aussage Bowlbys Theorie ist, dass ein Säugling den angeboreren Drang hat, Sicherheit durch die Nähe einer vertrauten Person zu suchen. Fühlt er sich müde, krank, unsicher oder alleine, so zeigt er Bindungsverhalten durch Schreien, Weinen, Rufen, Nachfolgen, um die Nähe zur Hauptbindungsperson wiederherzustellen.
Die Bindungserfahrungen, die ein Säugling im ersten Lebensjahr durch seine Bezugsperson macht, lassen ihn ein Gefühl der Gebundenheit ausbilden, die je nach Qualität der Beziehung bestimmte „Färbungen“ annehmen.
Im Rahmen der Mutter-Kind-Beziehung ist Bindung lediglich als ein Teil der gesamten Interaktion.
Ferner sah Bowlby Bindung nicht als eine in der Kindheit in Stein gemeiselte, unveränderliche Erfahrung, sondern vielmehr als einen lebenslangen Prozess, wodurch die Bindungsqualität einer Person positiv wie negativ beeinflusst wird. Aus der als Säugling erworbenen Bindungsqualität und weiteren Bindungserfahrungen, leitet sich später unser Bindungsverhalten ab. Sichere Bindung kann auch als Erwachsener bis zu einem gewissen Grad durch positive Bindungserfahrungen „nachgelernt“ werden.
Nun gibt es unterschiedliche Bindungsstile bei Kindern, die auf ihre Bindungserfahrungen und somit auf die Bindungsqualität Rückschlüsse erlauben.
Nach Bowlby lässt sich die Bindungsqualität eines Kindes anhand der standardisierten Testmethode „die fremde Situation“ ermitteln.
Teilnehmer an dieser Testsituation sind die Mutter, ihr Kind und eine fremde Person. Es handelt sich um eine festgelegte Abfolge von Sequenzen, währenddessen die Mutter zweimal den Raum verlässt und nach einigen Minuten zu ihrem Kind zurückkehrt. Während der Abwesenheit der Mutter, soll die fremde Person spielerisch mit dem Kind in Kontakt treten und schauen, in wie weit das Kind in der Lage ist, sich auf ihr Angebot zu Spielen einlassen kann. Hier gibt es durchaus gut erkennbare Unterschiede, da die Abwesenheit der Mutter das Bindungssystem des Kindes aktiviert. Aus diesem beobachtbaren Verhalten lässt sich eine verlässliche Auswertung der kindlichen Bindungsqualität ableiten.
Die Hälfte aller Kinder sind sicher gebunden. Sie zeigen deutliches Bindungsverhalten nach der Trennung von der Mutter, in dem sie anfangen zu weinen, nach ihr rufen, ihr hinterher laufen. Sie sind sehr gestresst, wenn die Mutter nicht wieder auftaucht. Auf Wiedervereinigung mit der Mutter reagieren sie mit Freude, wollen auf den Arm genommen und getröstet werden. Danach wird sich das Kind innerhalb kurzer Zeit wieder beruhigen.
Etwas weniger als die Hälfte sind unsicher gebunden. Sie protestieren kaum bei der Trennung von der Mutter. Fälschlicherweise könnte man diese Kinder für sicher gebunden halten, weil sie „abgeklärt“ wirken. Innerlich sind sie sehr gestresst. Auf die Rückkehr der Mutter reagieren sie mit Ablehnung oder Desinteresse.
Der Rest der Kinder ist unsicher-ambivalent gebunden. Sie zeigen nach Trennungen den größten Stress und weinen heftig. Nach der Rückkehr der Mutter können sie sich kaum beruhigen. Es dauert länger bis sie wieder einen emotional stabilen Zustand erreichen. Beim Angebot von Körperkontakt durch die Mutter, nehmen sie ihn einerseits dankend an, andererseits verhalten sie sich aggressiv (Schlagen, Stoßen, Strampeln).
Unsicher-desorganisiertes Bindungsverhalten ist ein Zusatz zu den drei vorher genannten Bindungsstilen. Auch sicher gebundene Kinder können sequentiell desorganisierte Verhaltensweisen zeigen. Solche Kinder laufen zur Mutter hin, machen auf der Hälfte des Weges plötzlich Halt, drehen um, laufen zurück um den Abstand zu ihr zu vergrößern. Sie zeigen deutlich ambivalentes Verhalten. Ihre Bewegungen können mitten im Bewegungsablauf „einfrieren“. Das Bindungssystem dieser Kinder ist zwar aktiviert, ihr Bindungsverhalten aber nicht konstant.
Das desorganisierte Muster tritt häufig bei Kindern von Eltern auf, die ihrerseits unverarbeitete Traumata haben.
Menschen brauchen Menschen. – Unbekannt
Bindungsstile Erwachsener
Menschen mit sicher-autonomer Bindungseinstellung haben Selbstvertrauen, eine hohe Frustrationstoleranz und sind empathisch. Sie haben die Folgen ihrer eigenen Erziehung (positiv wie negativ) gut reflektiert. Dadurch findet keine unbewusste Identifikation mit den eigenen Eltern statt, wobei die eigenen Eltern selbst oft eine autonome Bindungseinstellung hatten. Die Kinder dieser Eltern können deren Verhalten einschätzen. Sie fühlen sich sicher und geborgen.
Eine sicher-autonome Bindungseinstellung kann man durch positive Bindungen zu anderen Menschen erwerben oder sich mit Hilfe von Psychotherapie erarbeiten.
Erwachsene mit einer unsicher-distanzierten Bindungseinstellung erinnern sich kaum selbst an ihre eigene Kindheit. Sie stellen ihre Eltern auf ein Podest, obwohl sie dazu keine konkreten Beispiele nennen können. Tatsächlich erfuhren sie mangelnde elterliche Unterstützung sowie Zurückweisung ihrer Bedürfnisse. Außerdem verharmlosen Personen mit dieser Bindungseinstellung die Folgen der elterlichen Erziehung für ihr eigenes Verhalten. Unabhängigkeit ist ihnen sehr wichtig, sie verlassen sich lieber auf sich selbst und lehnen fremde Hilfe ab. Die Kinder dieser Eltern erfahren Unterstützung eher willkürlich und stehen unter hohem Leistungsdruck. Unsicher-distanzierte Mütter finden es schön, wenn ihr Kind anhänglich ist, können aber die Signale dahinter nicht deuten.
Erinnerungen an die eigene Kindheit empfinden Menschen mit unsicher-verstrickter Bindungseinstellung oft als sehr belastend. Emotionale Schwierigkeiten zu ihren nahen Bindungspersonen konnten nicht verarbeitet werden. Oft stehen sie selbst als Erwachsene noch in einem Abhängigkeitsverhältnis zu den eigenen Eltern und sehen sich nach Zuneigung und Wiedergutmachung. Die Mütter von Personen dieser Bindungseinstellung waren meist „inkompetent“ in ihrer Elternrolle, sie konnten ihrem Kind keinen Schutz bieten sowie nicht auf seine Bedürfnisse eingehen. Zumeist kam es zur Rollenumkehr (Parentifizierung), weil die Mutter selbst nach emotionaler Geborgenheit bedürftig war und somit das Kind emotional missbraucht hat. Eltern solcher Kinder hindern ihre eigenen Kinder daran interessiert die Umwelt zu erkunden (Explorationsverhalten), indem sie ihnen Schuldgefühle implizieren. Wut, Aggression und Unabhängigkeitsbestreben dürfen vom Kind nicht gezeigt werden, was die Identitätsfindung stark hemmt.
Kinder von Bindungspersonen, die unverarbeitete traumatische Erfahrungen in sich tragen, weisen häufig den desorganisierten Bindungsstil auf. Diese Eltern können ihre Kinder nicht beschützen und sind selbst überaus ängstlich. Wenn solche Bindungspersonen ihre Kinder misshandeln, missbrauchen oder beschämen, werden sie zu einer Quelle von Angst für das Kind. Das Kind ist orientierungslos und lernt die bedürftigen Eltern zu versorgen, weil es glaubt für deren psychisches sowie physisches Wohl verantwortlich zu sein.
SAFE = Sichere Ausbildung für Eltern
Diese Fortbildungsreihe, entwickelt von Prof. Dr. Brisch (deutscher Kinder- und Jugendlichenpsychiater, Psychotherapeut und Psychoanalytiker) wendet sich an werdende Eltern sowie an Paare, die Eltern werden möchten, als auch an Alleinerziehende. Die Teilnehmer lernen ihre Kinder sicher an sich zu binden und unter welchen sozialen Gesichtspunkten dies am besten gelingt.
Zitat Prof. Dr. Brisch
Eine sichere Bindung von Anfang an….
Mit einer sicheren Bindung werden die Eltern große Freude an ihrem Kind haben, weil sicher gebundene Kinder eine bessere Sprachentwicklung haben, flexibler und ausdauernder Aufgaben lösen, sich in die Gefühlswelt von anderen Kindern besser hineinversetzen können, mehr Freundschaften schließen und in ihren Beziehungen voraussichtlich glücklichere Menschen sein werden.